West­fä­li­sche Rauch­zei­chen #010

Als sie aus dem Schlaf­zim­mer kam, zog er sich gera­de die Snea­k­er an. „Ich muss los, das Spiel fängt gleich an.“
„Tor­ben“, sag­te sie, „wir müs­sen noch über das Geschenk für Kat­ja und Sven spre­chen. Die Hoch­zeit ist in zwei Wochen.“
Er ver­dreh­te nicht die Augen, aber sei­ne Stim­me klang bereits auf dem Rück­zug. „Kön­nen wir das mor­gen klä­ren? Ich bin spät dran.“
„Du bist immer spät dran.“
„Wir fin­den schon was. Wir kön­nen ja mor­gen mal gucken gehen.“ Dann ein flüch­ti­ger Kuss, Tür auf, Tür zu und weg war er. Sie hör­te, wie er die Trep­pen hin­un­ter­lief, zwei Stu­fen auf ein­mal. Wie immer, wenn er spät dran war. Dann war es still.

Sie stand noch einen Moment da, zwi­schen Flur und Wohn­zim­mer. Über­leg­te, ob man sau­er sein durf­te, wenn der ande­re einen nicht absicht­lich ver­letz­te. Dann dreh­te sie sich um und ging in die Küche. Sie räum­te die Tel­ler vom Abend­essen in die Spül­ma­schi­ne und wisch­te die Arbeits­plat­te ab, die gar nicht schmut­zig war. Sie mach­te das, was sie immer mach­te, wenn sie sich ärger­te. Sie funktionierte.

Auf dem Weg ins Wohn­zim­mer blieb ihr Blick am klei­nen Humi­dor hän­gen, der noch offen stand. Natür­lich. Wahr­schein­lich hat­te Tor­ben auf den letz­ten Drücker noch schnell Zigar­ren ein­ge­packt. Sie woll­te den Deckel schlie­ßen, ein­fach aus Reflex. Doch dann hielt sie inne. Der Geruch stieg ihr in die Nase, warm und wür­zig. Nach lau­en Som­mer­näch­ten auf dem Bal­kon. Nach Gesprä­chen, die längst ver­klun­gen waren. Nach beson­de­ren Momen­ten, die lan­ge zurück­la­gen. Sie betrach­te­te die ordent­lich auf­ge­reih­ten Zigar­ren, die wie klei­ne Ver­spre­chen vor ihr lagen, und nahm eine her­aus. Nicht weil sie es woll­te, son­dern weil es plötz­lich nahe lag. Dabei fühl­te sie sich wie eine Ein­bre­che­rin im eige­nen Zuhause.

Die Zigar­re lag uner­war­tet schwer in ihrer Hand. Sie ließ die Fin­ger über das sei­dig glat­te Deck­blatt glei­ten, spür­te die fei­nen Adern, den leich­ten Wider­stand unter dem Druck des Daumens.
Neben dem Humi­dor lag Tor­bens Zigar­ren­sche­re. Sie griff danach und setz­te die Sche­re an. Ein kur­zer, sau­be­rer Schnitt, ruhig und präzise.

Auf dem Bal­kon setz­te sie sich auf den alten Holz­stuhl, den Tor­ben immer „mei­nen Platz“ nann­te. Nun war es ihrer.

Sie führ­te die Zigar­re an die Lip­pen, zün­de­te sie an. Zog dar­an. Vor­sich­tig. Sehr vor­sich­tig. Frem­de Aro­men brei­te­ten sich in ihrem Mund aus. Fremd, aber nicht unan­ge­nehm. Ver­traut von sei­nen Küs­sen und doch ganz anders. Inten­si­ver. Direk­ter. Sie schmeck­te das Hol­zi­ge, das Süße, das Tie­fe und Dunk­le. Und spür­te, wie es in ihr ruhi­ger wurde.

Sie hielt die Zigar­re in der Hand und betrach­te­te sie wie ein Ver­spre­chen. Der Rauch stieg lang­sam auf, als hät­te er kei­ne Eile. Sie beob­ach­te­te, wie er sich krin­gel­te, auf­lö­ste und im Abend­licht verschwand.

Schwal­ben zogen ihre Krei­se am Him­mel, in einem Gar­ten wur­de gelacht und irgend­wo in der Fer­ne schlug eine Kirch­turm­uhr. Auch die Stadt atme­te in lang­sa­men Zügen.