Als sie aus dem Schlafzimmer kam, zog er sich gerade die Sneaker an. „Ich muss los, das Spiel fängt gleich an.“
„Torben“, sagte sie, „wir müssen noch über das Geschenk für Katja und Sven sprechen. Die Hochzeit ist in zwei Wochen.“
Er verdrehte nicht die Augen, aber seine Stimme klang bereits auf dem Rückzug. „Können wir das morgen klären? Ich bin spät dran.“
„Du bist immer spät dran.“
„Wir finden schon was. Wir können ja morgen mal gucken gehen.“ Dann ein flüchtiger Kuss, Tür auf, Tür zu und weg war er. Sie hörte, wie er die Treppen hinunterlief, zwei Stufen auf einmal. Wie immer, wenn er spät dran war. Dann war es still.
Sie stand noch einen Moment da, zwischen Flur und Wohnzimmer. Überlegte, ob man sauer sein durfte, wenn der andere einen nicht absichtlich verletzte. Dann drehte sie sich um und ging in die Küche. Sie räumte die Teller vom Abendessen in die Spülmaschine und wischte die Arbeitsplatte ab, die gar nicht schmutzig war. Sie machte das, was sie immer machte, wenn sie sich ärgerte. Sie funktionierte.
Auf dem Weg ins Wohnzimmer blieb ihr Blick am kleinen Humidor hängen, der noch offen stand. Natürlich. Wahrscheinlich hatte Torben auf den letzten Drücker noch schnell Zigarren eingepackt. Sie wollte den Deckel schließen, einfach aus Reflex. Doch dann hielt sie inne. Der Geruch stieg ihr in die Nase, warm und würzig. Nach lauen Sommernächten auf dem Balkon. Nach Gesprächen, die längst verklungen waren. Nach besonderen Momenten, die lange zurücklagen. Sie betrachtete die ordentlich aufgereihten Zigarren, die wie kleine Versprechen vor ihr lagen, und nahm eine heraus. Nicht weil sie es wollte, sondern weil es plötzlich nahe lag. Dabei fühlte sie sich wie eine Einbrecherin im eigenen Zuhause.
Die Zigarre lag unerwartet schwer in ihrer Hand. Sie ließ die Finger über das seidig glatte Deckblatt gleiten, spürte die feinen Adern, den leichten Widerstand unter dem Druck des Daumens.
Neben dem Humidor lag Torbens Zigarrenschere. Sie griff danach und setzte die Schere an. Ein kurzer, sauberer Schnitt, ruhig und präzise.
Auf dem Balkon setzte sie sich auf den alten Holzstuhl, den Torben immer „meinen Platz“ nannte. Nun war es ihrer.
Sie führte die Zigarre an die Lippen, zündete sie an. Zog daran. Vorsichtig. Sehr vorsichtig. Fremde Aromen breiteten sich in ihrem Mund aus. Fremd, aber nicht unangenehm. Vertraut von seinen Küssen und doch ganz anders. Intensiver. Direkter. Sie schmeckte das Holzige, das Süße, das Tiefe und Dunkle. Und spürte, wie es in ihr ruhiger wurde.
Sie hielt die Zigarre in der Hand und betrachtete sie wie ein Versprechen. Der Rauch stieg langsam auf, als hätte er keine Eile. Sie beobachtete, wie er sich kringelte, auflöste und im Abendlicht verschwand.
Schwalben zogen ihre Kreise am Himmel, in einem Garten wurde gelacht und irgendwo in der Ferne schlug eine Kirchturmuhr. Auch die Stadt atmete in langsamen Zügen.